Neuinfektionen vergangene 7 Tage: 230.403 Inzidenz: 571*
Bekannte Infektionen: 3.817.139** Tote: 78.733
Genesungen: 3.381.337*** Aktive Infektionen: 357.069
*Wird hier nicht öffentlich angegeben und meine Berechnungsgrundlage sind die Einwohnerzahlen des letzten Zensus, der aber schon über 10 Jahre her ist; daher ist die Zahl wahrscheinlich etwas zu hoch angesetzt
** Enthält auch 13 Fälle von den Malvinen/Falklands, weil die Argentinier das ja als Staatsgebiet betrachten
*** als genesen gilt hier seit Anfang August 2020 automatisch, wer vor mehr 10 Tagen seinen Positiv-Bescheid bekommen hat und in dieser Zeit nicht im Krankenhaus gelandet ist; deshalb macht die Kurve der akut Infizierten da einen – inzwischen nicht mehr sichtbaren – Knick nach unten, die der wieder Genesenen einen Sprung nach oben
Stand: 01.06.2021, Quelle: Ministerio de Salud, Worldometers
Wir brechen hier Rekorde und zwar Neuinfektionen und Tote pro Tag sowie Belegung der Intensivstationen: Der Rekord von Neuinfizierten liegt bei 41.080 vom 27.5., die Zahl der Toten pro Tag lag mit 795 noch nie so hoch wie am 18.5. und auf den Intensivstationen kämpft das medizinische Personal gemeinsam um das Leben von aktuell 7.417 Menschen. Den vor zwei Wochen verkündeten 9-tägigen „Lockdown“ haben wir hinter uns, gebracht hat’s gar nix, im Gegenteil lag die höchste Rate an Neuinfektionen genau in dieser Woche. Zugegeben kann man den Erfolg erst in ein paar Tagen wirklich einschätzen, aber ich rechne angesichts dessen, was ich selbst gesehen und über die Medien vermittelt bekommen habe nicht mit einer Reduktion der Infektionszahlen, allenfalls einer Stabilisierung auf hohem Niveau.
Unsere landesweite 7-Tage-Inzidenz liegt bei 571, in der Hauptstadt 636 und in inzwischen drei Provinzen sogar über 1000! In der letzten Woche sind so landesweit über 230.000 Neuinfektionen und mehr als 3.700 Tote dazugekommen, die Intensivstationen etlicher Krankenhäuser sind zu 100% belegt. Jeder hat auf einmal Nachbarn oder Familie, die an COVID erkrankt sind, inzwischen auch immer mehr Kinder und Jugendliche. Es ist noch nicht so schlimm wie in Brasilien, wo zunehmend auch Kleinkinder an COVID sterben, aber wir sind auf dem Weg. Impfung ist für die meisten Argentinier noch weit entfernt und die medizinische Versorgung steht am Rande des Kollaps.
Mein Glaube an Appelle zur Vernunft ist angesichts von Monaten, in denen sich die Argentinier zu Grillfesten, in Bars und Cafés und Clubs, an Stränden, in Theatern oder auf Demonstrationen ohne oder mit schlecht sitzenden Masken getroffen haben nur noch sehr eingeschränkt. Ich fürchte, wir müssen auch hier Tausende Tote am Tag bekommen, bevor die Angst vor dem Virus wieder die eigene Bequemlichkeit und „Freiheitsliebe“ übertrifft. Dabei liegen wir mit über 1.700 Toten auf 1 Mio. Einwohner schon jetzt nicht mehr weit hinter Brasilien, wo es rund 2.170 sind. Das monatelange Laissez-faire der Regierung (und die immer wieder gemeldeten Parties, an denen die Politiker selber teilgenommen haben) hat leider an dieser Stelle überhaupt nicht geholfen.
Neben den fünf schon länger kursierenden SARS-COV2 Varianten (zwei aus Brasilien – Manaus/Gamma und Rio/Zeta -, die britische/Alpha, die kalifornische/Epsilon und die andine (C.37) – vermutlich in Chile/Peru entstandene und merkwürdigerweise von der WHO bislang nicht mit einem griechischen Buchstaben versehene) wurden im Mai auch die indischen (Delta) und süafrikanischen (Beta) Varianten entdeckt, eingeschleppt von Reisenden. Systematisch getestet wird auf die neuen Varianten hier nach meinem Wissen weiterhin nicht, es ist daher unklar wie weit die jeweils schon verbreitet sind. Bei der letzten landesweiten Untersuchung mit 597 Probanden von Anfang Mai hatte aber die Andine-Variante mit 196 Fällen die Nase knapp vor der Manaus-Variante mit 181 Fällen und deutlich vor der britischen (72 Fälle). Inzwischen ist schon die Rede davon, dass es wegen der hohen Wirtszahlen weitere südamerikanische Varianten geben könnte, vielleicht demnächst eine argentinische.
Getestet wird immer noch viel zu wenig. Die Rate der positiven Tests liegt wieder über der 30%-Marke, obwohl inzwischen regelmäßig über 100.000 Tests am Tag durchgeführt werden (all time record liegt bei 180.000, war allerdings ein totaler Ausreißer). Über die gesamte Zeit seit den ersten Fällen im März 2020 liegt unsere Positivquote immer noch bei unglaublichen 27% – mit wieder steigender Tendenz. Empfohlen wird eigentlich, sie unter 3% zu halten, um der Pandemie die Luft abzudrehen. Und natürlich die Kontakte von Infizierten nachzuverfolgen, was hier nie passiert ist.
Hier haben wir seit März letzten Jahres landesweit ganze 14 Millionen Tests vorzuweisen, wir haben also immer noch gerade einmal jeden dritten Argentinier ein Mal im Jahr getestet. Medizinstatistiker gingen deshalb hier schon bei 1,5 Millionen bekannten Infektionen von einer sehr hohen Dunkelziffer aus und sprachen von möglicherweise 7,5 bis 12 Millionen tatsächlich Infizierten, also fünf- bis achtmal mehr als nachgewiesen. Das wären schon 16-25% der Bevölkerung gewesen und war wahrscheinlich zu hoch gegriffen. Inzwischen sind wir bei über 3,7 Mio. Infektionen und dementsprechend auch höherer Dunkelziffer. Wenn wir den kleineren Faktor von fünfmal mehr als bekannt anlegen, wären wir jetzt in der Tat bei mehr als einem Viertel der Bevölkerung, die schon infiziert war – was aber nix heißt. Es gibt zunehmend Berichte über Menschen, die sich ein zweites und drittes Mal infizieren, selbst mit Impfung. Die Vermutung ist, dass die unterschiedlichen Varianten dabei eine große Rolle spielen.
Nach den offiziellen Zahlen ist Herdenimmunität mit 60% „Durchseuchung“ aber noch weit entfernt. Landesweit liegen wir inzwischen bei 9,5%, lediglich in der bevölkerungsärmsten Provinz Tierra del Fuego hatten auch nach offiziellen Zahlen über 20% das Virus. Vollständig geimpft ist darüber hinaus nur ein winziger Teil der Bevölkerung. Von den hier verfügbaren Impfungen Sputnik V, Sinopharm und AstraZeneca wurden bislang angeblich etwa 12,5 Mio. Dosen verimpft, aber nur 2,8 Mio. Menschen haben schon zwei Dosen erhalten. Das sind nur 6% der Bevölkerung. Bis Juni sollten nach den Plänen von Anfang des Jahres 25 Millionen Dosen verimpft werden, das schaffen wir aber nicht mehr. Im Moment wird hier vorwiegend einfach geimpft, es sei besser, wenn möglichst schnell mehr Menschen mit mindestens einer Dosis geimpft würden, heißt es.
Im lateinamerikanischen Vergleich bei der Zahl der Toten pro 100.000 Einwohner haben wir uns inzwischen an Peru und Brasilien vorbei wieder auf Platz zwei geschoben. Aktuell haben wir höhere Todeszahlen als vor ca. 9 Monaten. Damals hatte Argentinien monatelang weit vor allen anderen Ländern der Region gelegen, während unseres Sommers hatte sich die Lage hier etwas entschärft, dafür fast überall sonst verschlechtert. Allen voran in Uruguay, das bis dahin relativ gut durch die ganze Krise gekommen war, nun aber schon seit etlichen Wochen die Liste der Toten pro Einwohner weltweit anführt. Dort hat die Regierung schon vor Wochen drakonische Maßnahmen ergriffen und steckt für bis zu zwei Jahre in den Knast, wer die Regeln der Quarantäne verletzt. Scheint aber nicht zu helfen.

Mit den offiziell 78.733 Toten auf 3,8 Mio. Infizierte liegen wir momentan bei einer Sterberate von 2,06% (stabil) und damit über dem weltweiten Mittelwert von aktuell 1,88% (ungewichtet) aber etwa gleichauf mit dem gewichteten Durchschnitt von 2,08%. Zum Vergleich: Deutschland liegt aktuell bei 2,42%, war aber auch schon mal über 4.
In absoluten Zahlen der Infizierten bleiben die USA (noch) mit 34,1 Millionen Infizierten an der Spitze, ebenso bei der Zahl der Toten: über 610.000 sind es dort inzwischen. Weltweit sind es mittlerweile 3,57 Millionen. Und auch wenn wir alle sie schon satt haben: die Pandemie ist noch immer nicht vorbei. Sie holt gerade nochmal Schwung. In Indien liegen die Infektionszahlen bei bis zu einer Viertelmillion Menschen. Am Tag.
Bleibt zuhause, Leute!