Zoff wegen Zellstoff

Eigentlich sind sie gute Nachbarn, die Argentinier und die Uruguayos. Seit einigen Jahren jedoch gibt es Streit wegen der Ansiedlung von zwei Zellstofffabriken am Rio Uruguay, auf der östlichen Seite, also in Uruguay. Die Situation ist inzwischen so verfahren, dass scherzhaft bereits von einem bevorstehenden Krieg zwischen beiden Ländern die Rede ist.

Der Rio Uruguay ist der Grenzfluss zwischen den beiden Ländern, gehört also zur Hälfte Argentinien. Weswegen die Argentinier finden, sie hätten eigentlich mal gefragt gehört, bevor Uruguay diesen größten Zellstoffkomplex der Welt an den gemeinsamen Fluss verlegt. Vor allem, weil es sich bei den beiden Firmen um spanische (ENCE) bzw. finnische (Botnia) Unternehmen handelt, die in Uruguay gerne den billigeren Weg gehen und ECF-Zellstoff herstellen statt den teureren, aber saubereren TCF-Zellstoff (Elementarchlorfrei gegenüber Totalchlorfrei, jeweils nach den englischen Bezeichnungen).

Weil Uruguay aber Auslandsinvestitionen ganz bitter nötig hat und deshalb zu Diskussionen über das Thema kaum bereit war, gab es während der Bauphase auf argentinischer Seite Straßenblockaden durch die Anwohner, damit die Materialien nicht aus Chile bis zur Baustelle geschafft werden konnten. Das ging über mehrere Monate so und die Bewohner von Gualeguaychú – sonst nur für ihren Karneval bekannt – sind dadurch zu einer nationalen Berühmheit geworden. Bis zu 100.000 Menschen haben ihren friedlichen Protest zuweilen durch ihre Anwesenheit unterstützt. Hat aber nur insofern etwas genutzt, als die spanische Firma ENCE sich überlegt hat, vielleicht nicht gerade an dieser Stelle zu bauen und ihre Investition erstmal zurückgestellt hat.

Die finnische Botnia hat jedoch ihre Produktionsstätte fertiggestellt und produziert seit drei Wochen ihren Zellstoff – von dem natürlich nichts in Uruguay bleibt, alles wird exportiert. Exportiert wird auch ein Großteil der Abgase und Abwässer – nach Argentinien. In Gualeguaychú beschweren sich die Leute schon über den Gestank, der über den Fluss weht, auf beiden Seiten des Flusses werden eifrig Wasserproben gezogen und analysiert, auf argentinischer Seite um die Verschmutzung des Flusses durch das Werk zu belegen, auf uruguayischer, um das Gegenteil zu beweisen. Um „terroristische Anschläge“ auf das Werk zu vermeiden, schloss die Regierung Uruguays sogar zeitweilig die drei Brücken, über die eine Einreise über Land von Argentinien aus möglich ist – eine völlige Überreaktion angesichts der bisher ausschließlich friedlichen Proteste.

Flagge für saubere PapierproduktionDies ist die Protest-Flagge für saubere Papierproduktion – ohne nationalistische Symbole. Gute Idee, wie ich finde. Damit müssen sich die Uruguayos nicht so vom großen Nachbarn unter Druck gesetzt fühlen.

Die Aufregung der argentinischen Regierung über die Zellstoffwerke ist insofern ein wenig heuchlerisch, als auf argentinischer Seite mehrere, kleinere Werke stehen, die natürlich ebenfalls ihre Abwässer in die Flüsse pumpen, die dann wiederum in den Rio Uruguay münden. Und diese Fabriken produzieren auf genau dieselbe Weise wie Botnia in Fray Bentos – oder schlimmer.

Allerdings ist das Werk von Botnia erheblich größer. Das Produktionsvolumen entspricht ungefähr dem aller Werke in Argentinien zusammengenommen. Hätte auch noch ENCE sein Werk an dieser Stelle angesiedelt, wäre das einer Verdoppelung der Produktion auf argentinischer Seite gleichgekommen – mit entsprechenden Abwässern und -gasen.

Weil die Bewohner von Gualeguaychú das Werk nun nicht mehr verhindern können und selbst bei einem Erfolg der anhängigen argentinischen Klage vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag unwahrscheinlich ist, dass es wieder eingemottet wird, haben sie sich auf schwarzen Humor verlegt. Die Website www.botnia.com.ar sieht aus wie www.botnia.com – hat aber ein klein wenig andere Inhalte. Schön gemacht. Ansonsten werden sie wohl in regelmäßigen Abständen zu Protesten über den Fluss setzen. Einige riefen schon nach einem Wirtschaftsboykott Uruguays, was den kleinen Nachbarn erneut schwer treffen könnte. Uruguays Wirtschaft war schon 2001/2002 durch die argentinische Wirtschaftskrise schwer ins Straucheln geraten, als wohlhabende Argentinier einen Großteil ihrer Dollareinlagen von uruguayischen Banken abzogen.

Greenpeace Argentinien hat übrigens schon vor knapp zwei Jahren beide Regierungen aufgefordert, sich gemeinsam hinzusetzen und Regeln für die nachhaltige Papierproduktion aufzustellen, die auf beiden Seiten des Rio Uruguay einzuhalten sind. Unter anderem sollten bis 2015 alle Zellstofffabriken in beiden Ländern ohne Chlorbleiche auskommen. Stieß leider – wie so häufig – auf taube Ohren.

Deshalb an dieser Stelle der Aufruf: mehr Recyclingpapier verwenden! In den 80ern gab’s das schon mal überall, inzwischen ist es aus den meisten Läden wieder verschwunden. Nachfragen und hartnäckig bleiben. Wenn es Nachfrage gibt, wird es auch wieder ein Angebot geben.

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2 Antworten zu Zoff wegen Zellstoff

  1. Rainer Hagendorf schreibt:

    Hallo Helge, das ist ein sehr interessanter Artikel. Gerade in Deutschland ist Recyclingpaper ja auch wieder stark auf dem Rückzug. Es wird für viele Einsatzbereiche als ungeeignet angesehen, weil es rauher und dunkler ist als gebleichtes, neues Papier.
    Ich werde mal wieder verstärkt für Recyclingpapier werben, wenn schon die Deutschen Umweltorganisationen dieses Thema anscheinend vollkommen vergessen haben.
    Gruß Rainer

  2. Pingback: Tabaré Vazquez zieht in den Krieg | Me llaman Jorge

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