Alle Jahre wieder?

Angesichts der zahlreichen Meldungen auch in deutschen Medien zu den „sintflutartigen Überschwemmungen“ in La Plata und der Bundeshauptstadt (z.B. tagesschau, Welt, NZZ, Berliner Zeitung, Deutschlandradio), die vielen Opfer (definitiv mehr als 50, evtl. sogar über 100), gibt’s schon nicht mehr viel, was ich zu dem Thema noch beitragen könnte. Denn auch wenn Lomas de Zamora wie La Plata südlich von Buenos Aires liegt und man meinen könnte, dass wir dann auch innerhalb weniger Stunden 400 Liter Wasser auf den Quadratmeter abbekommen haben sollten: Dem war (zum Glück) nicht so. Hier waren es lediglich um die 100, und das auch schon in der Nacht zum Dienstag (als die nördlichen Bezirke von Buenos Aires – mal wieder – mit 150 Liter pro Quadratmeter absoffen). Am Dienstag selbst hat es hier zwar auch geregnet, aber vergleichsweise eher wenig.

Allerdings lebt Cecilias Schwester mit Familie in La Plata – und die haben’s abbekommen. Im eigenen Haus stand das Wasser zwar nur ein paar Zentimeter hoch, aber die Häuser von Schiegermutter und Schwägerin waren bis zum Dach im Wasser. Letztere musste mit einem Boot befreit werden. Die Stromversorgung war natürlich sofort weg, aber auch das Wasser war einige Tage abgestellt. Seit Freitag nachmittag fließt zumindest das bei ihnen wieder, für den Strom haben sie wie viele hier einen eigenen kleinen Generator.

Sie hatten Glück im Unglück, sind alle mit dem Leben davongekommen und die Häuser an sich haben dem Wasser standgehalten – wenn auch der Großteil des Mobiliars und der Kleidung nicht mehr zu gebrauchen ist. Villa Elvira – so heißt der Stadtteil – liegt tief und war einer der am Schlimmsten betroffenen Stadtteile. Viele Menschen dort haben wirklich alles verloren. Die Strömung muss so stark gewesen sein, dass Müttern ihre Kinder aus den Armen gerissen wurden. In den Medien war jedoch meist nur von den im Westen liegenden Gegenden die Rede. Vermutlich hauptsächlich, weil die ganzen Journalisten aus der Hauptstadt bis genau dahin vordringen konnten, dann versperrte ihnen das Wasser den Weg. Villa Elvira liegt auf der anderen Seite von La Plata.

Wie das jedes Mal nach solchen „Natur“-Katastrophen ist, versprechen die Politiker umfangreiche Hilfen, Steuersenkungen für die Betroffenen, Menschen spenden Kleidung, Decken und Nahrungsmittel, auch der Papst spendet 50.000 Dollar. Gleichzeitig graben Journalisten aber auch alte Studien aus, in denen Maßnahmen zum Schutz vor diesen Ereignissen beschrieben sind. Die ganze Pampa ist schließlich Schwemmland des Rio Paraná, liegt entsprechend überwiegend tief und ist flutgefährdet. Neu ist das alles nicht. Selbst die europäischen Eroberer hatten Schwierigkeiten, ihr erstes Fort am Südufer des Rio de la Plata zu errichten. Es stand wahrscheinlich im heutigen Parque Lezama, einem der wenigen Hügel des Gebiets, der nicht regelmäßig überflutet wurde (und der wegen seiner erhöhten Lage auch besser gegen die Ureinwohner zu verteidigen war).

Hinzu kommt aber eine Urbanisierung, die in den letzten Jahrzehnten zunehmend weniger Rücksicht auf die natürliche Struktur genommen hat. Der Stadtteil Bajo Flores (der schon im Namen trägt, dass er niedrig liegt) war früher wie einige andere auch Sumpfgebiet. Unzählige kleine Bäche und Flüsse fließen überall durch die Pampa – etliche davon auch durch Buenos Aires. Allerdings wird man die heute kaum noch zu Gesicht bekommen, denn diese sind in ihrem Bett immer weiter eingezwängt worden zwischen Hochhäusern und Armensiedlungen, einige hat man gar ganz in enge Röhren unter die Erde verbannt. Auf Google Maps beispielsweise sind sie schon gar nicht mehr verzeichnet, lediglich auf dieser historischen Karte von 1892 findet man z.B. den Rio Maldonado und den Rio Medrano noch in ihren historischen Verläufen. Der Maldonado verläuft heute komplett unterhalb der Avenida Juan B. Justo – quer durch die Stadt. Die Kanalisierung rächt sich bei Starkregen, denn binnen Minuten schwellen die Pegel dann um ein Vielfaches an, weil der Fluss sich nicht mehr ausbreiten kann.

Auch hier in der Gegend haben wir ein solches Flüsschen, genannt „Arroyo del Rey“. Der ist in den letzten drei, vier Jahren in ein schönes neues Betonkorsett gezwängt worden weil die angrenzenden Häuser regelmäßig nach Regen unter Wasser standen. Bei normalem Regenwetter reicht das. Ich möchte mir aber gar nicht ausmalen, was passiert, wenn hier 400 Liter Regen auf den Quadratmeter fallen. Die fasst das Betonbett des Flusses keinesfalls, die umliegenden Stadtteile wären wohl auch binnen Minuten unter Wasser. Die Hybris der Politik, erst Menschen im Umfeld solcher Flüsse anzusiedeln und dann mit teuren technischen Maßnahmen zu versuchen, das Wasser von ihnen fernzuhalten wird sich noch rächen. „Die meisten dieser Arbeiten“, sagt der Umweltökonom Antonio Brailovsky, der auch ein Buch zum Thema geschrieben hat, „sind zum Scheitern verurteilt, weil sich das Wasser einfach einen neuen Weg sucht.“

In Deutschland ging eine ähnliche Debatte nach dem „perfekten Sturm“ über Süd- und Ostdeutschland im August 2002 los. Auch dort waren Flüsse in enge künstliche Betten gepfercht worden und brachen daraus nach starken Regenfällen aus (damaliger Rekord: rund 300 Liter pro Quadratmeter in 24 Stunden). Einige Überschwemmungsflächen hat man den Flüssen inzwischen wieder zurückgegeben. Außerdem aber Deiche erhöht und Rückhaltebecken gebaut. Ob das reicht, wird man abwarten müssen. Hier geht die Diskussion in nur eine Richtung: noch mehr Kanalisierung, um nicht bereits bebaute Flächen wieder renaturieren zu müssen. Solange sich das nicht ändert, werden sich wohl auch die Schlagzeilen wiederholen: X Tote bei schweren Überschwemmungen in Buenos Aires.

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2 Antworten zu Alle Jahre wieder?

  1. antje schreibt:

    da kann man nur hoffen, daß die dollars von don francisco die bedürftigen erreicht! schön, daß du verschont geblieben bist! auch in cordoba und villa carlos paz könnte ähnlich schlimmers passieren. es wird gebaut, obwohl man weiß, daß die flächen überflutet werden können!
    liebe grüße

  2. Pingback: Krieg im Klassenzimmer, ein falscher Robin Hood und vier Sekretärinnen: Meine letzte Woche mit 34 (Teil 2) « ARGENTINISCHES TAGEBUCH

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